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Die Hallen von Callahan


 

Zum Dank für Hilfe in vielen schweren Stunden.

Mögen da noch viele Jahre kommen, in denen sich unsere Wege kreuzen.


„Würdest Du bitte Tanja sagen, daß ich sie nun sprechen möchte?“ Agrons Stimme war ruhig und gelassen, während seine gütigen Augen auf dem verwirrt dreinblickenden Mann vor ihm ruhten. Er hatte soeben ein langes Gespräch mit Erik geführt. Er hatte viele Worte des Erklärens gesucht, um dem Mann, der ihm in den letzen 10 Jahren treu zur Seite gestanden hatte, begreiflich zu machen, in welcher Situation er sich befand.

Sie hatten zusammen viele schwere Zeiten durchgemacht; die große Hungersnot, die Bedrohung durch Strador, den Blut-Herzog, und den Tod des ehrwürdigen Sylik Erabon, Agrons Vorgänger.

Insbesondere die erste Zeit war Agron sehr schwer gefallen. Obwohl er schon so lange neben Erabon in den Hallen von Callahan gelebt und gearbeitet hatte, war es doch schwer für ihn gewesen, die Lücke auszufüllen, die der weise Mann in seinem Herzen und in den Bibliotheken hinterlassen hatte. Und in dieser schweren Zeit war Erik da gewesen, wenn er schier verzweifelte.

Der stämmige schwarzhaarige Mann mit dem Händedruck eines Ogers und dem Lächeln eines Jungen schaffte es immer wieder, durch die Einfachheit seiner Worte, aus denen doch so viel Weisheit sprach, ihn daran zu erinnern, was wesentlich war in dieser Welt.

Und auch den schweren hölzernen Streitkolben, dessen sich Erik bei vielen Gelegenheiten zur Verteidigung der Hallen und der Dorfbewohner an seiner Seite bedient hatte, würde Agron wohl nie vergessen.

Und dieser Mann saß nun vor ihm, bleich ob des Schreckens, den dieses Gespräch mit sich gebracht hatte. Erik hatte Tränen in den Augen und starrte in die Kerze, die zwischen den diversen Schriftrollen auf dem Tisch verloren versuchte, mit ihrem Schein eine behagliche Atmosphäre zu schaffen.

„Erik!“, sagte Agron ein wenig lauter. „Was?“

Erik fuhr hoch, offensichtlich aus einem schweren Gedanken gerissen. „Entschuldigt, was sagtet Ihr, bitte?“ brachte er mit belegter Stimme hervor.

Mit einem beruhigenden Lächeln antwortete Agron: „Ich habe Dich nur gebeten, Tanja zu sagen, daß ich sie gern jetzt sprechen würde.“ Er ließ seinen Blick auf Erik ruhen und wartete geduldig. Einige Augenblicke später erhob sich Erik und bewegte sich wie betäubt zur Tür. Während er sie öffnete, drehte er sich noch einmal um und fragte, ob er noch etwas tun könne.

„Nein Erik, vielen Dank!“ erwiderte Agron. Auch wenn er versuchte, gelassen zu wirken, so war er doch in seinem Inneren sehr aufgewühlt. Und das Gespräch mit Tanja stand ihm noch bevor. Tanja und ihn verband eine tiefe und innige Beziehung, die weit über das gewöhnliche Maß hinausging. Er liebte sie. Und sie liebte ihn. Aber keiner von beiden hatte es jemals ausgesprochen. Allerdings bestand auch keine Notwendigkeit dazu. Die Sorge in ihren großen dunklen Augen, wenn er sich auf eine gefährliche Reise begab, seine Fürsorge für Probleme ihrer kranken Familie, die Freude in ihren Augen nach seiner Heimkehr und die gelegentlichen, scheinbar zufälligen Berührungen beider machten etwas so einfaches und unvollkommenes wie Worte unnötig.

Und nun würde er sie wegschicken. Wegschicken müssen. Er hatte es lange vor sich hergeschoben, doch die herannahende Gefahr ließ ihm nun keine Wahl mehr. Viele Tage hatte er nach einem anderen Ausweg gesucht, aber seine Anstrengungen waren vergeblich. Keinesfalls war es möglich, das in den Hallen von CALLAHAN angesammelte Wissen rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Nicht der zehnte Teil hätte in Sicherheit gebracht werden können, solch große Mengen an Aufzeichnungen ruhten in den schützenden Gewölben des Klosters aus alter Zeit. Aber diese Schriften in die Hände Stykars und seiner seelenlosen Armee fallen zu lassen, das war einfach unvorstellbar. Es war nicht auszudenken, welche Grausamkeiten diese Ausgeburt des Bösen damit hätte begehen können. Und so schien sich nur die totale Vernichtung der in den Bibliotheken und Gewölben lagernden Pergamente und Aufzeichnungen darzubieten.

Und dann hatte er sie gefunden; Eine Randnotiz, die wohl viele hundert Jahre in einer längst vergessenen Sprache am Rand einer unbedeutenden Legende geschrieben stand. Sie war kaum noch lesbar und in einem ziemlich unbekannten Akzent geschrieben. Und doch brachte sie ihn auf eine Idee. Zwei Tage und Nächte hatte er in den hintersten Ecken der tiefsten Gewölbe verbracht, und dann hatte er sie in den Händen gehalten. Diese schlicht aussehende Rolle, von dem das Siegel schon vor langer Zeit gefallen war, auf dem sich unzählige Risse und Furchen trafen, zeigte ihm den Weg. Zwischen verblassenden Buchstaben und undeutlicher werdenden Zeichnungen lag die Rettung.

Ein Klopfen riß Agron aus seinen Gedanken. „Komm‘ nur herein, Tanja!“ antwortete er, seine Gedanken wieder sammelnd. Herein kam eine Frau mittleren Alters. Ihr kastanienbraunes Haar bedeckte ihre schmalen Schultern, und ihre feinen Gesichtszüge schienen aufzuleuchten, als sie den Raum betrat. Und als sie lächelnd mit klarer, heller Stimme nach dem Grund für ihr Erscheinen fragte, schien die Kerze auf dem Tisch zu versuchen, ein wenig heller zu scheinen, als wolle sie die faszinierende Erscheinung dieser eigentlich einfachen Frau mit ihrem Leuchten unterstreichen.

„Setz dich Tanja, wir müssen reden.“ Er erhob sich und ging hinüber zu dem kleinen Kamin, in dem ein Haufen Glut dafür sorgte, daß die Kälte der abendlichen Stürme nicht durch die Gemäuer in die Stube des Hohepriesters kroch. Er griff nach dem Kessel, der dort auf einem Gestell ruhte und goß der groß gewachsenen Frau den duftenden heißen Kräutertee in einen kleinen Becher.

Er reichte ihr das dampfende Gebräu und begab sich wieder auf seinen Stuhl. Mit einem Seufzen nahm er Platz und blickte in ihre liebgewonnen Züge.

„Tanja, es stehen schwere Zeiten bevor. Der Krieg entwickelt sich nicht so, wie wir es uns hätten wünschen können. Die Armee Stykars hat sich immer weiter nach Westen bewegt und wir sind nahezu eingeschlossen. Es wird Zeit, daß die Dorfbewohner in Sicherheit gebracht werden, und Du wirst mit ihnen gehen. Es ist besser, wenn Du dich ihnen anschließt, denn.....“ „.... Ihr werdet hier bleiben und nicht wiederkehren.“ unterbrach sie ihn. „Das ist es doch, was Ihr mir sagen wollt. Ich habt Euch entschlossen, hier zu bleiben, die heiligen Hallen zu verteidigen und zu sterben. Das ist es doch, was ihr mir sagen wolltet, oder?“.

Agron war ob der Schärfe und Klarheit ihrer Worte überrascht. Er hatte sich vorgenommen, es ihr schonend beizubringen, daß sie ohne ihn fortgehen müßte und daß sie auch nicht auf ihn warten dürfe. Aber auf ihre Reaktion und ihr sofortiges Erkennen seines Ziels war er nicht vorbereitet gewesen.

„Woher.....“. Er vollendete den Satz nicht.

„Nun, ich bin schon viele Jahre hier und laufe durch diese Hallen. Ich höre viele Dinge, ich sehe, was Euch bewegt. Ich habe gelernt, in einem Gesicht, das für andere unverändert den Tatsachen lauscht, die Gedanken zu lesen. Ich muß kein Gelehrter sein um zu erkennen, daß die Lage aussichtslos ist. Ich muß kein Magister der arkanen Künste sein, um zu sehen, daß Euch die Sorge um die Dorfbewohner und die Hallen der Alten stündlich altern läßt. Und ich müßte blind sein, um nicht zu sehen, daß sich der Mann, den ich geliebt habe, seit ich als junges Mädchen vom Dorf zu Euch hinauf geschickt wurde, auf sein Ende vorbereitet.“

Agron schluckte, während Tanja sanft und bestimmt vor ihm ihre Gedanken offenbarte.

„Ja, auch das weiß ich. Ich weiß es schon sehr lange, Herr. Niemals hätte ich gewagt, Euch von meinen Gefühlen zu erzählen. Ihr habt mich immer besser behandelt, als ich es verdient hatte. So, wie ihr allen Menschen in Eurer Umgebung das Gefühl gegeben habt, etwas Außergewöhnliches zu sein. Und auch jetzt versucht Ihr, mich vor dem, was uns das Schicksal bringt, zu beschützen.“

Jedes ihrer Worte bohrte sich wie ein Dolchstoß in sein Herz. Gedanken rasten durch seinen Kopf, Gedanken an verpaßte Momente, an Gefühle, die er sich nie eingestanden hatte. Und nun saß diese wunderbare Frau vor ihm und schien in ihm zu lesen, wie in einem Buch.

„Ich habe mich lange gefragt“, fuhr sie fort, „ob das, was ich für Euch empfinde, richtig ist. Und es war mir noch nie so klar wie heute, daß es das Beste war, was ich vom Leben erwarten konnte. Auch wenn Ihr niemals darüber gesprochen habt, Herr, so weiß ich doch, daß ich in Eurem Herzen einen Platz habe. Und auch wenn Ihr mich nie im Arm gehalten, so war ich doch die glücklichste Frau der Welt. In Eurer Nähe zu sein, wenn Ihr Andacht gehalten habt, Euch kurz beim Schlafen zu bewundern, bevor ich Euch weckte und den morgendlichen Tee brachte, Eure Hand auf meiner Wange, wenn Ihr mir ein Lob ausgesprochen habt, das alles macht mich zu einer zufriedenen Frau. Meine Liebe zu Euch ist so groß, daß mich keine Kreatur der Niederhöllen dazu bringen könnte, von Eurer Seite zu weichen, wenn Eure Stunde gekommen ist. Wäret Ihr ein einfacher Bauer oder Söldner, an den ich mein Herz verloren habe, würde ich versuchen, Euch mit allen Mitteln davon abzubringen, diesen Kampf, dem Ihr Euch stellen wollt, zu kämpfen. Aber ich liebe Euch für das, was Ihr seid, ein Mann mit starkem unerschütterlichem Glauben. Selbst wenn ich es könnte, würde ich Euch nicht bitten, mich zu begleiten. Ich hatte immer Angst vor diesem Tag, aber ich werde stark sein, stark für Euch. Ich möchte, daß Ihr Euch meiner mit Freuden erinnert, wenn Ihr in die heiligen Gefilde der Alten Drachen einkehrt, denn ich wollte niemals mehr, als Ihr mir gegeben habt.

Und wenn Ihr mich nun bittet, mit den Dorfbewohnern zu gehen, dann werde ich das tun.“

Agrons Magen krampfte sich zusammen. Noch nie hatte ihn etwas so berührt, was ein anderer Mensch zu ihm gesagt hatte. Er brachte all‘ seine Willenskraft auf und sagte: „In zwei Tagen werden einige meiner Brüder hier ankommen, die Euch in ein Lager einige Tagesreisen entfernt von hier bringen werden.“

Noch während er darum rang, nicht die Fassung zu verlieren, stand sie auf und verließ leise den Raum, ohne sich noch einmal zu ihm zu wenden. Als die Tür ins Schloß fiel, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme: „Ja, ich liebe Dich auch.“



* * *


Schwere Schritte beschlagener Stiefel und das Geräusch schwerer Rüstung erklang vom anderen Ende des Speisesaals, in dem einstmals so viele Gelehrte und Priester ihr Mahl eingenommen hatten. An den Wänden befanden sich Bilder von Hohepriestern längst vergangener Zeiten. Es waren Geschenke, die den Geistlichen als Zeichen der Dankbarkeit überreicht worden waren. Und auch wenn man hier keinen Wert auf prunkverzierte Wände legte, so war es doch ein erhebender Anblick, in die Gesichter zu blicken, die einst damit begonnen hatten, Wissen an diesem Ort zusammenzutragen.

„Wo ist der alte Starrkopf?“ erscholl eine rauhe feste Stimme vom anderen Ende des Saals.

„Wen meint ihr, Herr?“ antwortete Tanja, die gerade dabei war, das unbenutzte Eßgeschirr Agrons von der Tafel zu räumen. Der zwei Meter große, blonde Mann mit der langen Narbe auf der linken Wange und dem muskulösen Körper unter der von seinem roten überwurf bedeckten Rüstung blieb stehen und betrachtete Tanja ausgiebig.

„Wen ich meine, gute Frau? Ich meine diesen dickköpfigen Priester, der es sich in den Kopf gesetzt hat, diese nackten Hallen allein gegen eine Armee zu verteidigen, denen ganze Städte mit Befestigungsanlagen nichts entgegenzusetzen hatten. Ich meine diesen Bücherwurm, der wahrscheinlich besser mit Büchern nach Unwissenden werfen kann, als ich das Schwert schwingen. Kurz: Ich suche Agron.“

„Er ist oben in seiner Kammer, die oberste im großen Turm.“

Sie stockte kurz: „Herr, seid ihr ein Freund von ihm?“

„Das will ich meinen, wenn er überhaupt jemals so etwas hatte. Wenn da nicht hin und wieder einige Andeutungen gewesen wären, aus denen man mit reichlich Kym'nark-mar gefälligen Gedanken darauf schließen konnte, daß er einen mag, hätte man glauben können, dieser Kerl sei in seine Bücher verliebt! Warum fragt ihr?“

Trotz seiner rauhen Art, Dinge darzustellen, strahlte dieser Mann in den Farben des Ordens der Alten Drachen eine schier unüberwindliche Sicherheit aus. Seine linke Hand ruhte auf dem Knauf des Schwertes an seiner Seite, während sich die Rechte gerade eines der beiden gepanzerten Handschuhe entledigte.

„Nun ja, ich wollte Euch nur bitten, Herr, wenn Ihr ein Freund von ihm seid, dann könntet Ihr ihn doch sicherlich dazu bringen, etwas zu Essen, ich meine er muß doch Essen, sonst wird er krank und dann kann er doch nicht mehr arbeiten und.......“. Ihr Schluchzen ließ ihre Stimme ersterben.

Der breitschultrige Krieger trat vor, sich den zweiten Handschuh abstreifend und legte seine Arme mit den großen schwieligen Händen um sie. Tanja weinte jetzt ohne Unterlaß. Die Strapazen der letzten Tage forderten nun Tribut, und der Umstand, daß Agron sich die letzten zwei Tage nicht hatte blicken lassen, tat das seine dazu. Zitternd lag sie in den Armen des fremden Kriegers und ließ ihren Gefühlen freien Lauf.

„Ihr liebt ihn, oder?“ „Ja.“

Nachdem sie sich beruhigt hatte und begann, ihre Tränen zu trocknen, ließ er sie los und verließ den Saal. „Ich will sehen, was ich tun kann!“


* * *


Die alte Treppe knarrte unter dem Gewicht seiner Schritte. Am Ende der Treppe angelangt steckte er die Fackel, die er in der Hand hielt, in die Halterung an der Wand, nachdem er zuvor das verkohlte Stück Holz, das sich darin befunden hatte, achtlos in die Ecke geworfen hatte. Seine Hand erhob sich und hämmerte gegen die Tür.


„Geht weg, ich habe keine Zeit. Ihr sollt eure Sachen packen und Euch den Ordensbrüdern unten vor den Toren anschließen. Geht!“

Plötzlich flog die schwere eisenbeschlagene Tür auf und krachte laut auf der anderen Seite gegen die Steinwand. Agron sah erschrocken hoch und versuchte, über die Kerzen auf seinem Tisch hinweg zu erkennen, wer dort in der Tür stand.

„Dorkas! Was machst Du denn hier?“ Der blonde Mann trat ohne ein Wort zu sagen ein und blickte sich im Raum um. "Was machst Du hier, ich glaubte Dich im Heerlager, einen Plan für die kommenden Schlachten ausarbeitend.“

„Agron Mesalle, Hohepriester Kym'nark-mars, Priester der Alten Drachen! Es ist doch unglaublich! Was ich hier mache? Was tust Du hier noch? Alle um Dich herum haben ihr Bündel geschnürt und sind bereit, bei Morgengrauen aufzubrechen, und Du sitzt hier am höchsten Punkt eines verlorenen Tales und...“, er schaute sich das Durcheinander von Schriftrollen, eigenartig wirkenden Pulvern in Schalen und seltsam scheinenden Zeichnungen an, das das Zimmer beherrschte, „vergräbst diesen Raum unter Nichtigkeiten. Warum ich hier bin? Ganz einfach: In irgendeiner dieser endlosen Listen, die ich mir seit vielen Wochen ansehen mußte, stand Dein Name mit einem Vermerk, der besagte, Du würdest Dich weigern, diese Hallen hier zu verlassen, obwohl Stykar nur noch zwei Tage entfernt von hier über zwanzigtausend Untote und Niederhöllenkreaturen entsandt hat, damit seine Priester hier einfallen können.

Und da ich weiß, daß die Weisheit schon während unserer gemeinsamen Novizenzeit dein Steckenpferd war, konnte ich es mit nicht vorstellen, daß Du hierbleiben willst. Auch als die beiden Boten, die ich zu Dir gesandt habe, zurückkehrten, ohne daß sich Deine Antwort geändert hatte, dachte ich bei mir ‚Das kann nicht sein‘.

Also habe ich meinen vernarbten Körper vom Hocker des Kommandozeltes erhoben und bin hierher geritten, um zu sehen, an welcher Krankheit Du leidest, die verhindert, daß Du Deinen Verstand gebrauchst. Und was sehe ich? Euer Hochwürden frönt den Freuden der Literatur! Wie schön!“

Ohne Acht zu geben schritt er zu dem vollkommen überladenen Tisch und hämmerte seine große Faust mit Gewalt darauf. Der in die Jahre gekommene Tisch ächzte und knackte unter der Kraft des Kriegers.

„Du wirst jetzt Deine Habseligkeiten packen, Dir 5 Bücher Deiner Wahl unter Deinen Arm klemmen und mit uns morgen früh diese Stätte verlassen, sonst, bei den Alten, werde ich verdammt ungastlich!“


„Setz dich!“

„Ich will mich nicht setzen, ich will, daß Du morgen mit uns kommst! Weißt Du eigentlich, was Du für Kummer über die bringst, die Dich kennen. Ich habe mit Deinem Bruder gesprochen, und er ist krank vor Sorge um Dich. Ich reite mir meinen alten Hintern wund, um zu sehen, wie es Dir geht, und, bei allem was mir heilig ist, dort unten steht eine wundervolle Frau mit einem tollen Körper, die sich die Augen deinetwegen ausweint! Nein, ich will mich nicht setzen!“

„Setz Dich und hör auf, hier herumzubrüllen. Sonst stürzt noch dieser Turm in sich zusammen, alt genug dafür wäre er.“

Dorkas Thyrsys war beeindruckt. Es war viele Jahre her, seit er Agron das letzte Mal gesprochen hatte, und der schmächtige Priester von früher hatte sich zu einem selbstsicheren und bestimmten Mann weiterentwickelt, dessen Charisma kaum größer hätte sein können. Der Junge, dessen Freund er zwar damals schon gewesen war, aber den er ob seiner Besessenheit für Schriften und Wissen belächelt hatte, war nun Hohepriester. Und, wenn er ehrlich zu sich war, ein ziemlich beeindruckender.

Obwohl ihm jetzt gar nicht nach sitzen zumute war, griff er nach einem Hocker, fegte die Fetzen zerrissener Schriftrollen fort und ließ sich nieder.

„Ich freue mich, Dich wiederzusehen, mein Freund. Schade nur, daß es unter diesen Umständen sein muß. Ich kann hier nicht weg, jetzt nicht mehr.“

„Was soll das heißen?“

„Das bedeutet, daß ich einen Weg gefunden habe, wie ich das Wissen, das wir seit langem hier zusammengetragen haben, von Stykar fernhalten kann, ohne es zu zerstören.“

„Wie? Ich meine wie willst Du.....? Du hast Dich doch nicht etwa auf einen Handel mit Dietrich Reichenstein und seinen Söldnern eingelassen, oder? Dieser Hund....“

„Nein, beruhige Dich, das habe ich nicht. Ich saß eines abends hier an diesem Tisch und sann über den Verlust nach, den wir durch die Zerstörung dieser Hallen hinnehmen müßten. Und dann fand ich die Lösung. Ich hatte von einem Ritual gelesen, das mir helfen könnte.“

„Das kannst du vergessen! Ramon persönlich und zwanzig ausgewählte Priester haben über vier Wochen versucht, etwas zu erschaffen, daß Stykars Höllenhunde aufhalten würde, vergeblich.“

„Da hast Du Recht, aber sie standen ohnehin vor einem anderen Problem als dem, das uns hier bedrückt. Paß‘ auf, alter Freund, ich erkläre es Dir!“


Noch bis weit in die Nacht verbrachten die beiden Mitglieder des Ordens der Alten Drachen die Zeit damit, über den Plan zu sprechen. Während der ganzen Zeit war Agron dabei, Gegenstände zusammenzusammeln und Schriftrollen zu ordnen.


* * *


Als Dorkas am nächsten Morgen zusammen mit den anderen Ordensbrüdern und den Bewohnern des Dorfes aufbrach, dachte er noch immer über die Worte seines Freundes nach. Dorkas hatte verstanden, was Agron vorhatte, und er hatte auch verstanden, daß es nur diesen Weg gab, das Wissen der Hallen von CALLAHAN vor Stykar zu retten, ohne es zu zerstören. Was ihn so nachdenklich stimmte, war die Antwort des Hohepriesters auf seine Frage, warum er ein menschliches Leben, sein Leben, für ein paar Bücher und Schriften wegwarf. Er, Dorkas, war der festen überzeugung, dass ein Leben immer mehr wert war, als alle Bücher dieser Welt.

„Nun,“ hatte Agron in seiner ruhigen sachlichen Art geantwortet, „da magst Du vielleicht Recht haben. Ein Buch an sich mag mit seinem Einband und den einzelnen Seiten nicht an den Wert eines Lebens heranreichen. Aber ein Leben ist niemals mehr wert als das von Tausenden. Und viele haben Ihr Leben gelebt, um vielleicht nur eine einzige Schrift zu verfassen, bevor sie gingen. Ihr Leben steckt vielleicht nur in diesem Werk. Gebe ich dieses Werk den Flammen Preis, töte ich unzählige Leben, die ansonsten in diesen Gewölben die Zeit überdauern könnten.“

Dorkas war sich bewußt, daß das wohl das Weiseste war, das er jemals gehört hatte. Und dennoch war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, dass sein Freund und Ordensbruder, den er schon aus der Jugendzeit kannte, sich allein auf sein Ende vorbereiten mußte, ein Ende in den Händen Stykars.

Als der Troß den Waldrand erreicht hatte, zügelte Dorkas sein Pferd und blickte noch einmal auf die altehrwürdigen Hallen von CALLAHAN, und während er in Gedanken versunken die alte Bauweise und die Männer und Frauen, die dort gelebt hatten, bewunderte, strich eine Hand über den Kopf des Pferdes, und eine Stimme sagte: „Er hat seine Erfüllung gefunden. Nichts könnte ihn glücklicher machen. Das ist sein Lebenswerk.“

„Ich weiß“, antwortete der stolze Krieger, ohne den Blick auf die Frau zu richten, die mit ihrem Bündel auf dem Rücken neben seinem Pferd in dieselbe Richtung blickte. „Ich weiß“, flüsterte er erneut, dann wandte er sein Pferd um und ritt in den Wald.


Seine Muskeln schmerzten vor Anstrengung, seine Augen brannten ob der Müdigkeit, die nun wie ein bleierner Schleier über ihm lag. Agron fühlte sich, als hätte er seit Jahren nicht geschlafen. Aber bald würde er seinen Körper zur Ruhe betten können.

Es war gegen Mittag des Tages nach der Abreise der Dorfbevölkerung und seiner Brüder. Und der Abreise der Frau, die ihn geliebt hatte. Schon seit den frühen Morgenstunden hetzte er um die Hallen und malte mit Wachs und Kreide Zeichen an Wände und Bäume, stellte Kerzen in seltsamen Formationen zwischen sie und sprach Gebete in der Sprache der Alten Drachen. Immer wieder mußte er sich die Augen reiben, wenn die Schriftzeichen auf seinen Notizen vor seinen Augen im dichten Nebel der Müdigkeit zu tanzen begannen.

Als die Erschöpfung zu groß wurde, setze er sich einen Moment an die Mauern des Gewölbes und blickte abwesend in Richtung des Waldes, gedankenversunken auf einem Stück Brot herumkauend. Seine Beine fühlten sich an, als würden sie nicht ihm gehören, sie brannten und zuckten ob der Erschöpfung an einigen Stellen unkontrolliert.

Plötzlich tauchte zwischen den Bäumen eine Gestalt auf. Agron ließ das Brot fallen und stand auf. Wenn dies Vorboten Stykars waren hatte er versagt. All die Mühe war umsonst gewesen, und alles, wofür er gekämpft hatte, würde hier und jetzt sein Ende finden. In Gedanken rannte er schon durch die Gewölbe, in jede Ecke Branntwein schüttend und die Fackel an das scharfe Gebräu haltend.

Er rieb sich die Augen, um besser sehen zu können. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. Er ging einige Schritte auf den Besucher zu, während dieser sich sicheren Schrittes auf ihn zubewegte.

„Auch wenn ich mich wiederhole, aber was machst Du hier? Ich dachte, Du beschützt die Bauern auf ihrem Weg zum Lager.“

„Ich beschütze Leben, dazu bin ich einst ausgezogen. Und irgendein dahergelaufener Priester hat mir mal erzählt, das Bücher Leben sind, in gewisser Weise. Die Bauern sind in Sicherheit, den Rest des Weges schaffen unsere Brüder auch ohne mich.“

„Hat dieser Priester Dir auch klar gemacht, daß er nicht wiederkommen wird, wenn er sich seiner Aufgabe widmet?“

„...Sein Platz ist an der Seite der Seinen, die er verteidigt bis zum letzten.“

Agron dachte nach, aber ihm fiel einfach kein Gegenargument ein, hatte er doch selbst diesen Schwur vor vielen Jahren abgelegt. Dorkas grinste breit, als er seinen Sieg bei diesem Wortgefecht erkannte. Es war in ihrem Leben nicht oft vorgekommen, daß er bei einem solchen Wettstreit die Oberhand behalten hatte.

„Sieht, aus als bräuchte der Hohepriester Agron Mesalle ein wenig Hilfe. Die Zeit schreitet voran, und es bleibt nicht mehr viel vom Tag. Hier, trink‘ das!“

„Agron nahm die kleine Flasche, die ihm sein Bruder reichte, öffnete den Korken und zuckte unwillkürlich zurück. Der Geruch, der aus dem Gefäß aufstieg war beißend scharf.

„Es riecht grauenhaft, aber dafür wirkt es um so besser! Ein alter Zwerg hat mir mal das Rezept verkauft. Es macht Dich frisch wie nach einem langen Schlaf und einem kalten Bad, und das für einen ganzen Tageslauf. Wenn man es in kurzer Zeit zu oft benutzt, kann es sogar tödliche Wirkung haben, aber ich denke, dieses Problem werden wir kaum noch haben. Trink‘ also, alter Mann, damit wir weitermachen können.“

Während er dies sagte, entledigte er sich seiner Plattenrüstung, des Kettenhemdes und der wattierten Unterkleidung. Während Agron einen tiefen Schluck nahm, griff Dorkas nach den Utensilien, die noch nicht aufgebaut worden waren und wartete auf Anweisungen.


* * *


„Es ist soweit, die Dunkelheit hat sich über das Land gelegt und Nebel kriecht vom Fluß herauf. Bist Du bereit? Sie sind bald hier, Darador meint, es seien nur noch wenige Stunden.“

Agron beendete seine Meditation und öffnete die Augen.

„Wie geht es dem stolzen Darador, dem Herren der Lüfte? Wie geht es dem stolzesten und schönsten Drachen, den ich jemals gesehen habe?“

„Er freut sich auf den Kampf. Er kann es kaum abwarten, seine Klauen in das tote Fleisch von widernatürlichen Kreaturen zu graben und mit seinem Maul Knochen splittern zu lassen. Und wie geht es Milodyr?“

„Oh, die alte Dame hätte eine andere Lösung vorgezogen, ebenso wie ich. Muß an meinem Einfluß liegen. Aber auch sie ist bereit.“

Agron griff nach seiner Robe. Er hatte eine schöne ausgewählt. Sie war weiß mit Gold abgesetztem Rand. Während auf dem Rücken groß das Zeichen des Ordens prangte, konnte man bei entsprechendem Lichteinfall erkennen, daß überall mit weißem Faden Drachen auf die Robe genäht worden waren, einer majestätischer als der andere. Tanja war eine gute Näherin gewesen. Agron strich sich die ergrauten Haare aus dem Gesicht, ergriff seinen verzierten Stab, um den sich in wunderschöner Darstellung ein Abbild Kym'nark-mars wandt, und blickte seinem Freund tief in die Augen: „Nun denn, laß uns gehen.“ Die Ruhe und Zuversicht, die dieser Mann ausstrahlte, war atemberaubend. Dorkas bereute es in diesem Augenblick mehr als jemals zuvor, daß er nicht häufiger zu Besuch gekommen war, um seinen Bruder zu sehen. Er öffnete die Tür zu der langen Wendeltreppe. Beide schritten Seite an Seite die Treppe hinunter. Und ganz plötzlich wurde Dorkas bewußt, daß er seinem Freund nie gesagt hatte, wie sehr er ihn und das, was er tat, respektierte. Sie kamen auf einem Treppenabsatz an, als Agron die Hand Dorkas auf seiner Schulter spürte.

„Hochwürden“, der Mann in der schweren Rüstung und der Erfahrung von vielen hundert Schlachten kniete sich vor dem Priester in der weißen Robe nieder, „ich bin ein Krieger auf dem Weg zu seiner letzten Schlacht. Würdet Ihr mir die Ehre geben und einen letzten Segen über mich sprechen?“

Agron zögerte nur kurz, dann lehnte er seinen Stab an die Wand. Er legte seine rechte Hand auf des Kriegers Haupt und begann den Segen zu sprechen.

Nachdem er geendigt, setzen beide ihren Weg fort.

„Danke.“ konnte man den Priester sagen hören, als sie aus den Hallen heraustraten.


Seit über zwei Stunden lief der Hohepriester des Drachenordens nun schon um die mächtigen Hallen von CALLAHAN, entzündete Kerzen und sprach Gebete. Als er wieder dort angekommen war, wo sich Dorkas mit Schwert und Schild positioniert hatte, hörte er den stolzen Krieger sagen: „Bei den Alten, sie sind da!“. Er blickte noch einmal kurz auf den vor ihm liegenden Zweihänder, dann fuhr er herum.

Ein seltsames Geräusch erfüllte plötzlich die Luft, eine Art Summen. Der Nebel, der dick und schwer wie ein nasser Vorhang über allem hing, dämpfte es noch ab, aber es war nicht mehr zu überhören. Plötzlich zerriß eine hohe, schrille Frauenstimme die Ruhe der Nacht. Es war ein Lachen, das der Wahnsinn antrieb. Der Nebel riß auf und plötzlich stand Dorkas keine zehn Schritt entfernt von 3 Kreaturen, die einst wohl Menschen gewesen sein mochten. Nun klebte an ihren herausschauenden Knochen nur noch verwesendes Fleisch, aus dem sich an unzähligen Stellen Maden bohrten. Dorkas sprang vor und enthauptete einen von ihnen mit dem ersten Schlag. Während er den Angriff des zweiten an seinem Schild herunterrutschen ließ, trennte er dem Dritten den Arm ab, in dem eine rostige schartige Axt ihre Heimat gefunden hatte.

Wieder schlug er zu und hieb einen großen Lappen fauligen Fleisches von den Rippen eines der Körper ab. Nach drei weiteren Schlägen hatte er sich des Problems entledigt.

Von hinter ihm drangen Wortfetzen an sein Ohr, vereinzelt konnte er die Stimme des Priesters verstehen: „...erflehe ich in dieser dunklen Stunde Eure Kraft.......Kormath.........Kym'nark-mar.......zu schützen diesen Ort.......widernatürlich Kreatur.....“

Der Nebel lichtete sich weiter. Ein Skelett mit einer seltsam anmutenden Waffe, die eine Mischung aus Schwert und Axt zu sein schien, hieb von der Seite auf ihn ein. Der Krieger wich aus und schlug zu. Ein knirschendes Geräusch erklang, während die Klinge an den Rippen hinunterglitt, bis sie krachend das Becken der Knochenkreatur traf. Weiße Splitter verteilten sich über den Boden, als die fleischlosen Gebeine in sich zusammensanken.

„Und das Böse soll weichen....“

Ein weiterer Zombie verlor seinen Kopf.

„... vor dem Angesicht der Reinheit...“

Die wildgewordene bleiche und schrill schreiende Frau......

„...dieses Ortes.“

...schwebte auf Dorkas zu.....

„Acba Lokum Talon.....“

...und verstummte kurz darauf, während sie an ihrem eigenen Blut ersoff.

Das stetige Geräusch, das seit Beginn des Kampfes zu hören war, wurde höher, unangenehmer. Der Nebel hatte sich jetzt fast vollständig verzogen. Er gab den Blick auf die Ebene vor ihnen frei. Und der sich bietende Anblick konnte einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Hunderte von Skeletten und Zombies strömten aus dem Waldstück, Ghule stolperten zwischen ihnen umher. Plötzlich tauchte unmittelbar vor Dorkas eine 4 Meter hohe Gestalt auf. Ihr lilafarbener muskulöser Körper, der nur von einem Fell bedeckt war, schwang in jeder Hand eine Axt, die ein einzelner Mann von guter Statur nur zweihändig hätte im Kampf führen können. Dieses Ding mußte aus dem Boden gewachsen sein, so schnell stand es vor dem überraschten Krieger. Eine Axt sauste hernieder und traf mit voller Wucht auf den Schild, der sofort in seine Einzelteile zerbarst. Dorkas wurde zur Seite geschleudert und mußte all sein Können und seine Erfahrung aufbieten, um sich abzurollen und sich bei diesem Sturz nicht sämtliche Glieder zu brechen. Wieder auf den Beinen mußte er sich der anderen heranfliegenden Axt erwehren. Er duckte sich unter dem Hieb weg, machte einen großen Satz nach hinten und ergriff den Zweihänder, während er das Schwert fallen ließ. Den Blick auf die riesige Gestalt vor ihm gerichtet sprang er vor, ein markerschütterndes „ZANDRAGAL!“ auf den Lippen. Einen Schlag parierend, dem anderen gekonnt ausweichend stürmte er vor und hinterließ einen tiefen klaffenden Schnitt, der quer über die Brust seines Gegenüber verlief. Eine gelbe, eiterähnliche Flüssigkeit quoll aus der Wunde hervor, und das lilafarbe Wesen schrie vor Schmerz. Mit einem gewandten Satz wirbelte der Drachenkrieger herum und durchschnitt dem Hünen das, was er als Fersen zu erkennen glaubte. Die riesige Gestalt schrie erneut und sackte nach unten. Als der geweihte Stahl den Kopf vom Körper trennte, waren die Augen des Kriegers schon wieder in eine andere Richtung unterwegs.


Ein Stück weit von ihm entfernt tauchte plötzlich eine Mann auf, der sich von den anderen unterschied; er war mittelgroß, trug eine weinrote Robe mit roter Kapuze, die einen darunter nicht zu erkennenden Kopf bedeckte. Einzig die gelb funkelnden Augen blitzen aus dem Dunkel hervor. Der Mann unter der Robe hatte einen Stab aus weißgelben Knochen in der dürren Hand, dessen Ende ein Totenschädel zierte. Aus dem hinteren Teil dieses Schädels schien eine Art Stachel hervorzuragen, aus dem wiederum kleine Krallen hervorkommen zu schienen.

Für einen kurzen Moment hielten die Horden von Untoten, die auf Dorkas eindrangen, inne, während sich der Nekromant auf die Hallen zubewegte. Wie auf ein geheimes Signal jedoch strebten sie dann wieder vorwärts.

Der Krieger im roten Rock des Drachenordens nutzte den kurzen Moment, um sich einen überblick zu verschaffen. Er würde die Massen nicht lange halten können, nicht allein. Hinter sich hörte er die Stimme seines Bruders. „Ihr Kräfte der Erde, ich bitte euch, erhört mein Flehen. So Ihr schützt....“.

Mit einem weiteren ‚Für ZANDRAGAL‘ begann Dorkas, die lange Klinge durch die Horden wandern zu lassen. Sie sang durch Luft, wie nie zuvor. Sie zerschmetterte Knochen, zerschnitt fauliges Fleisch und Sehnen. Und dennoch kamen die Untoten näher. Und es wurden immer mehr. Sie drängten von allen Seiten heran. Dorkas mußte den einen oder anderen Treffer hinnehmen, Blut quoll unter seiner Rüstung hervor.

Eine Gruppe von Skeletten lief direkt auf Agron zu. Kurz bevor die Toten den Priester erreicht hatten, geschah etwas Unerwartetes. Vom Himmel kam ein Feuerstrahl hernieder, der mitten zwischen den wandelnden Gebeinen einschlug und nichts als versengte Erde und ein wenig Asche verbrannter Knochen überließ. Im gleichen Augenblick fegte ein weißer Drache dicht über den Erdboden, um gleich danach wieder emporzusteigen. „Milodyr!“ entrann es sich der Kehle Dorkas‘.

Der weiße Drache stieg auf, um gleich darauf laut aufzuschreien. Wie aus dem Nichts kam aus dem Dunkel der Nacht eine weiße knochige Kreatur geflogen, die ihre großen Zähne zwischen den weißen Schuppen Milodyrs in das darunter liegende Fleisch bohrte. Beide, der Gefährte Agrons und auch der Knochendrache schlugen wild mit den Flügeln und taumelten durch die Luft. Blut troff aus allen Seiten des Kiefers hervor, der sich in den Rumpf seines fleischlichen Gegenübers bohrte.

Das höhnische Gelächter eines uralten Mannes begleitete das Geschehen. Der Nekromant in der weinroten Robe sah gen Himmel, den Stab hoch erhoben. Trotz des Lachens schienen seine Lippen die ganze Zeit über stumme Worte zu formen.

Milodyr befreite sich von dem verheerenden Biß und wich zurück. Eine Feuerlanze entrann sich ihrer Kehle und zerschmetterte bei ihrem Aufprall die linke Kralle des Angreifers. Gerade als sie zu einem erneuten Angriff ansetzen wollte, ertönte wieder das höhnische Lachen. Und Milodyr erstarrte, als ein weiterer riesiger Knochendrache aus dem Dunkel hervorschoß und seine Klauen tief in ihren Hals grub. Diesen Moment nutze die erste seelenlose Kreatur, um erneut anzugreifen. Noch bevor sie jedoch ihr Ziel erreiche, raste etwas Rotes durch den Nachthimmel. Der Knochendrache mit der vereinzelten Klaue versank in einem Meer von Feuer. Der rote Blitz flog direkt durch diesen Ball aus Feuer und Knochen hindurch. Was folgte war eine ohrenbetäubende Explosion. Glühende Knochensplitter regneten auf das Schlachtfeld, erhellten auf viele hundert Meter den Nachthimmel. Der rote Blitz kam abrupt zum Stillstand. Erst jetzt erkannte man den rot schimmernden Drachen, der bedrohlich vor dem anderen Knochendrachen und seinem Opfer schwebte. Es war Darador, der mächtige Drache, der sich vor langer Zeit Dorkas als Bruder für sein Seelenband gewählt hatte. Er war verletzt, er hatte offensichtlich bereits gekämpft. Er war verwundet, aber er schien sich nicht darum zu kümmern.

Der Knochendrache entließ sein zuckendes Opfer, das zu Boden fiel. Wieder erscholl höhnisches Gelächter, als sich zwei weitere untote Drachen am Himmel zu dem einen verbliebenen gesellten.

Mit einem dumpfen Schlag prallte der versehrte Körper Milodyrs zwischen Agron und den Hallen auf den Boden. Die Drachin gab ein Ächzen von sich.

Doch plötzlich verstummte das Lachen. Die Zombies um Dorkas herum blieben abrupt stehen und wankten in unheimlicher Weise hin und her.

„Neeeeiiiiiiiiiiin“ erscholl nun die Stimme des Nekromanten durch die Nacht!

Irritiert versuchte Dorkas zu ergründen, was diesen Sinneswandel des Totenbeschwörers verursacht hatte, schien er doch auf dem Weg zum sicheren Sieg zu sein. Plötzlich hörte er hinter sich eine vertraute Stimme: „Es ist vollbracht, mein Bruder!“ Dorkas machte einen Schritt nach hinten und spürte eine Hand auf seiner Schulter. Er drehte den Kopf und sah Agron hinter sich. Erst jetzt bemerkte er das Scharren und Blubbern um sich herum. Als der Blick hinter den Kym'nark-mar Priester auf die ehrwürdigen Hallen von Callahan fiel, erkannte er, daß diese in der Erde zu versinken schienen. Die harte Erde gab nach, und eingehüllt in einen leicht milchigen Schimmer sanken die Steine und Bücher, die Treppen und Schriftrollen ein.

Mit einem Lächeln auf dem gealterten Gesicht blickte Agron Dorkas tief in die Augen. Und mit ruhiger Stimme, die eine tiefe Wärme ausstrahlte, sagte er: „Komm‘, mein Bruder, laß‘ uns nun in die heiligen Gefilde der Drachen einkehren.“ Und beide wandten sich unter den Flüchen des Nekromanten von den untoten Angreifern ab. Sie schritten auf den sterbenden weißen Drachen zu, der selbst noch in seinem Todeskampf erhaben wirkte.

Wenige Schritt entfernt von ihm blieben sie stehen und drehten sich um. Dorkas stach den Zweihänder vor sich tief in die Erde. Beide knieten nieder.

Während der Nekromant mit sich überschlagender Stimme befahl, beide zu töten, begann Agron Mesalle, Hohepriester Kym'nark-mars, Priester der Alten Drachen, ein letztes Mal zu beten.

Und während seine Worte hell und klar durch die Nacht getragen wurden, während der rote Drache seinen letzten glorreichen Kampf am Himmel focht, und die Armee der lebenden Toten unaufhörlich auf sie zuschritt, schien die Zeit sehr langsam zu vergehen.

Als das Gebet sich dem Ende zuneigte, erhob sich der verwundete weiße Drache noch einmal. Er richtete sich zu voller Größe auf und legte seine großen Flügel schützend um die beiden Männer vor sich, ehe die Nacht sie umfing.


Zusammengetragen und niedergeschrieben

von Jackomo Trantor

Wächter des Drachenordens zu Akron